Für ein Leben ohne Enge
Als Nadine und Ken Leistner sich vor 12 Jahren vor der Dresdener Frauenkirche kennenlernten, könnte man von Fügung sprechen. Eine Wessi und ein Ossi: Man kann darüber streiten, ob es Sinn macht, dieses Klischee immer wieder zu bedienen. Fakt ist, für dieses Paar schwingen die Erfahrungen aus diesen Welten bis heute mit. Einst in Aachen, heute in Schönheide im Erzgebirge. Vor drei Jahren verlagerten sie den Lebensmittelpunkt hierher und bringen sich beide intensiv in ihren neuen Wohnort ein.

Das Erzgebirge und die Eifel
„Ich hätte mich das gar nicht getraut sie zu fragen“, erinnert sich Ken – erst recht nicht an so einem grauen Märztag mit Schneeregen und einer ersten Nacht im Haus mit kaltem Wasser und ohne Heizung. Die Frage sei einer Mischung aus der Sehnsucht nach Ländlichkeit mitten in der Corona-Pandemie, nach Familie und einer schönen Landschaft entsprungen. Einzige Bedingung: Kein Umzug ohne Job. Vor allem für den studierten Betriebswirt Ken –denn Nadine, promovierte Biologin, kann remote, also von zuhause aus arbeiten.
Dem Kind eine Kindheit wie die eigene geben


Nadine: Mit innerer Distanz gegen Enge und Konventionen
Nebenberuflich macht sie Karriereberatung für Jobs in Biologie und in Lebenswissenschaften generell. Das klingt nach einem Zehnstundentag, mindestens. Im Ort ist sie dennoch in ihrer Freizeit im Gewerbeverein aktiv, interessiert sich für Digitalisierung und den Einsatz von KI in Unternehmen, bringt sich in der Industrie- und Gewerbevereinigung Westerzgebirge e.V.) ein und eckt auch gerne mal mit ihrem Aktivismus an. Und da bringt sie einen Aspekt ins Spiel, über den man vielleicht zweimal nachdenken muss: „Ich kann das Leben hier genießen ohne Enge und Konventionen – gerade, weil es ursächlich nicht mein Dorf ist. Einfach, weil ich trotz des neuen Heimatgefühls eine innere Distanz spüre. Das macht manches leichter.“
Ken: Mit kleinen Dingen die Heimat gestalten

Ken stellte sich ein halbes Jahr nach Zuzug als Bürgermeisterkandidat auf und bekam aus dem Stand über 20 Prozent. Im Ort geisterte die Frage herum, ob er wieder wegziehen würde, wenn das mit dem Amtswunsch nicht klappt. Doch das ist nicht seine, nicht ihrer beider Art. „Wir tun was, engagieren uns im Kleinen, egal wie viel Wirkung das hat. Nur wer sich verantwortlich fühlt, kann den Ort voranbringen“, sagen beide. Seit September 2024 setzt sich Ken als Gemeinderat dafür ein, dass die Kommune lebenswert, die Schule erhalten bleibt. Ebenso wie die Freizeitangebote, die so wichtig wie gute Vereine sind, um Menschen an einen Ort zu binden. So wie die Eissporthalle zum Beispiel, die mit ihrem Eishockey-Verein Schönheider Wölfen e.V. weit über die Erzgebirgsgrenzen hinaus strahlt.

West-Ost: Noch immer nicht auserzählt?
Bei mir war das genauso. Es ist wichtig, Positives zu erzählen. Es ist so toll, wie akzeptiert und anerkannt ich hier als arbeitende Mutter beispielsweise bin. Wir kamen her und konnten aus drei Kitas wählen. Wird in Aachen das Kind zum falschen Zeitpunkt geboren, ist gerade kein Platz frei.“ Die Region nach außen zu verkaufen sei so notwendig, das Beschweren über Dinge eben nicht ihr Ding. „Wir machen lieber. Unser Kind soll später gern in den Ort zurückkommen wollen.“
Nukleus für neue Themen: Das Erzgebirge

—
Bilder: Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH / Sabine Schulze-Schwarz