Modedesignerinnen Sophie Schramek und Lena Schmidt im Interview
Sie sind beide 28 Jahre alt, ihre Leidenschaft ist die Mode, und sie haben darin erfolgreich ihre berufliche Erfüllung gefunden. Gleichwohl: Sophie ist gebürtige Plauenerin, Lena stammt aus Heidenheim an der Brenz in Baden-Württemberg. In Schneeberg, an der Fakultät für Angewandte Kunst, haben sie 2016 zueinander gefunden, während ihres Bachelorstudiums Modedesign. Und sie haben sich im Rahmen der Semesterarbeit fürs zweite Semester gemeinsam auf Spurensuche begeben, in die Welt Erzgebirgischer Mythen und Trachten. Was sie hier entdeckt haben, welche Rolle Trachten heute in der Mode spielen, ob Sachsen mit seiner mehr als 200-jährigen Textiltradition ein Sprungbrett für junge Modedesignerinnen und Modedesigner ist - darüber haben wir mit den beiden Designerinnen gesprochen.

Ihr habt beide an der Fakultät für Angewandte Kunst in Schneeberg studiert. Woher rührt Eure Leidenschaft für Modedesign?
Wann und wie seid Ihr das erste Mal mit dem Thema „Trachten“ in Berührung gekommen?
Sophie: Eigentlich erst als ich nach Schneeberg zog. Im Erzgebirge wird Tradition noch gelebt, und Trachten sind sichtbarer Bestandteil des Alltagskults – sei es bei Festen, Veranstaltungen oder im Vereinsleben. Diese Verbundenheit mit der Region und das lebendige Traditionsbewusstsein haben mich sehr beeindruckt.
Was hat Euch daran gereizt, Euch speziell mit der Erzgebirgischen Tracht zu beschäftigen?

Wie würdet Ihr die Besonderheiten der Erzgebirgischen Tracht beschreiben? Die Bergleute stehen dem Begriff „Tracht“ ja eher skeptisch gegenüber, sprechen vielmehr von Uniformen.
Lena: Das ist richtig. Gleichwohl steht der Begriff „Tracht“ strenggenommen für die für eine bestimmte Volks- oder Berufsgruppe – also auch die Bergleute – typische Kleidung. Von der Mode unterscheidet sich die Tracht durch deren steten Wechsel. Die Tracht hingegen ist etwas Bleibendes.
Sophie: Was die Erzgebirgische Tracht besonders macht, ist ihr enger Bezug zum Bergbau. Die typischen Bergmannsjacken, bestickt mit Bergbausymbolen wie Schlägel und Eisen, bringen nicht nur Berufsstolz zum Ausdruck, sondern auch Zugehörigkeit und Identität. Besonders sind auch die Farben: viel Schwarz, ergänzt durch Silber- oder Goldstickereien, sowie die charakteristischen Hüte. Die Sonntags- und Festtrachten wiederum sind oft farbenfroher und spiegeln regionale Eigenheiten wider. Letztlich jedoch verschwimmen die Grenzen zwischen Uniform und Tracht – beide erzählen von Gemeinschaft, Geschichte und Stolz.

„Tracht Erzgebirge Lab“ hieß das Projekt, in dessen Rahmen eine eigene Kollektion entstand. Welche Botschaften wolltet Ihr vermitteln?
Sophie: Meine Kollektion war inspiriert vom Bergbau und seinen Schätzen – insbesondere den Mineralien und Gesteinsschichten. Ziel war es, die Schichten des Steins und deren verborgene Schönheit darzustellen. Dazu habe ich Materialien in Steinfarben verwendet und mit lamellenartigen Strukturen gearbeitet, die die verschiedenen Gesteinsschichten symbolisieren. Darunter offenbaren sich Elemente, die an die Brillanz von Kristallen und Mineralien erinnern – im Zentrum steht dabei das Erz als Herzstück.
Lena: Ich habe mich bei meinem Modell „One draped“ von einem ganz speziellen Element inspirieren lassen, dem „Arschleder“. Das trugen die Bergleute als Sitzunterlage zum Schutz vor Nässe und Kälte. Ich habe dieses Arschleder zu einer Weste weiterentwickelt, die von außen beschichtet war. Ergänzt um eine Bluse, eine Hose mit rückwärtiger Schnürung sowie einem Tuch mit traditioneller Kreuzstickerei sollte das Modell zeigen, wie wandelbar, modern und alltagstauglich das ursprüngliche Trachtenelement „Arschleder“ auch heute noch ist.
Welches kreative Potenzial seht Ihr grundsätzlich im Thema Tracht?
Sophie: Für mich steht die Tracht für eine tiefe Verbindung zwischen Herkunft, Geschichte und Handwerk. In einer Zeit, in der Mode oft schnell, laut und beliebig wirkt, erinnern Trachten an Werte wie Beständigkeit, Qualität und Sinnhaftigkeit. Sie erzählen Geschichten – durch ihre Materialien, Schnitte und Symbole. Für das Modedesign bedeutet das eine riesige Inspirationsquelle. Durch eine zeitgemäße Übersetzung kann man Tradition sichtbar machen, ohne sie zu kopieren. Man kann mit Formen spielen, alte Techniken bewahren und gleichzeitig neue Perspektiven schaffen. Trachten bieten einen Gegenentwurf zur Wegwerfmentalität und zeigen, dass Mode auch kulturelle Verantwortung tragen kann.
Kann Tracht Trend sein? Oder sind Trachten ein Thema von gestern?
Lena: Tracht ist ein unglaublich reiches Inspirationsfeld für Modedesign. Sie verbindet handwerkliche Traditionen mit einzigartigen Silhouetten, Stoffen und Verzierungen. Gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit kann Tracht eine wichtige Rolle spielen, da sie auf hochwertige, langlebige Materialien und regionale Produktion setzt. Die Herausforderung liegt darin, die Essenz der Tracht zu bewahren und gleichzeitig moderne Tragbarkeit zu ermöglichen.
Sophie: Tracht ist sicher kein Modetrend im klassischen Sinne – und das ist auch gut so. Sie ist nicht beliebig, sondern tief verwurzelt. Aber genau deshalb hat sie Relevanz. In einer Welt, in der viele nach Orientierung und Echtheit suchen, kann Tracht wieder stärker in den Fokus rücken. Natürlich verändert sich die Art und Weise, wie wir damit umgehen – junge Designer interpretieren neu, spielen mit Kontrasten, lösen sich von starren Regeln. Und das ist wichtig: Tracht darf sich weiterentwickeln, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Gerade regionale Trachten wie die des Erzgebirges tragen Identität in sich. Wenn wir sie modern erzählen, können sie inspirieren, statt museal zu wirken.
Wie kann es Eurer Meinung nach gelingen, Trachten modern zu interpretieren?
Lena: Der Schlüssel liegt in der Balance zwischen Tradition und Innovation. So können Trachtenmuster oder Stickerei durchaus als Inspiration für moderne Streetwear oder High Fashion dienen.
Sophie: Genau! Moderne Schnittführungen, neue Materialien oder abstrahierte Elemente helfen, Tracht in einen zeitgemäßen Kontext zu überführen. Ein spannender Weg wäre auch die Zusammenarbeit mit regionalen Betrieben – um einerseits altes Wissen zu erhalten und andererseits ein Netzwerk zu schaffen, das regionales Handwerk wieder stärker sichtbar macht. Moderne Interpretation bedeutet nicht, Geschichte zu übermalen, sondern sie weiterzudenken – in Formen, die heutigen Tragegewohnheiten, Lebensstilen und ästhetischen Ansprüchen gerecht werden.

Sachsen hat eine große Textiltradition. Die Textilbranche mit rund 500 Unternehmen und über 12.000 Beschäftigten blickt auf eine über 200-jährige Geschichte zurück. Konntet Ihr von dieser Tradition während des Studiums und auch danach profitieren?
Sophie: Leider nicht wirklich. Die Textiltradition in Sachsen ist zwar historisch beeindruckend, aber sie ist im Alltag des Studiums und auch beim Einstieg ins Berufsleben wenig präsent gewesen. Viele kleinere Betriebe arbeiten zurückgezogen oder haben nicht die Kapazitäten, sich mit Nachwuchsdesignern zu vernetzen. Das macht es gerade für junge Gestaltende schwer, diesen Schatz tatsächlich zu nutzen.
Lena: Das sehe ich anders. Ich habe die Textiltradition Sachsens als hervorragende Grundlage für Designschaffende erlebt. Gerade für junge Designer ist der Zugang zu Fachwissen, regionalen Produzenten und traditionsreichen Textilunternehmen ein echter Vorteil. Und im Bereich nachhaltiger Produktion und Handwerkskunst gibt es hier viele wertvolle Ressourcen.
Mittlerweile ist Euch beiden der Sprung ins Berufsleben geglückt. Wie genau?
Sophie: Nachdem ich 2022 mein eigenes Label [SCHRAMEK] gegründet habe, zog es mich bereits während meines Studiums ins Marketing – und dieser Weg hat sich bis heute fortgesetzt. Gleichzeitig bin ich der Mode treu geblieben. Ich sehe meine berufliche Laufbahn heute als bewusste Kombination aus beiden Bereichen – kreative Kommunikation auf der einen Seite und konzeptionelles Arbeiten im Bereich Design auf der anderen.
Lena: Ich arbeite seit 2021 als Modedesignerin bei s.Oliver Red Label Women in der Nähe von Würzburg.