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Jörg Schmidtke

Jörg Schmidtke

Erzgebirge

Sie gehört ihm ganz allein, die Freiheit dort oben über den Wolken. Wenn Jörg Schmidtke seinen Overall anzieht und sich für den nächsten Fallschirmsprung vorbereitet, dann kann er es kaum erwarten, sie zu spüren, diese Freiheit. Fühlt sie sich doch ganz anders an als die Grenzen, die ihm im Alltag auf Erden oft aufgezeigt werden. Der aus dem erzgebirgischen Stollberg stammende und viele Jahre in Hamburg lebende 41-jährige verlor infolge eines schweren Schicksalsschlags 2017 seinen linken Unterschenkel. Aus 30 Meter Höhe stürzte er damals ab. Seiner Leidenschaft fürs Fallschirmspringen hat dies keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Zwei Jahre lang hat er sich zurückgekämpft. Ins Leben, in den Alltag, in seinen Sport. Jörgs Geschichte ist nicht nur eine des persönlichen Triumphes, sondern auch eine von Inklusion und Gemeinschaft, wie auch seine Beteiligung an Para-TAKEOFF zeigt – einer Organisation, die sich dem inklusiven Fallschirmspringen widmet.

 

Jörg, wie bist Du zum Fallschirmspringen gekommen?
Mein Vater war Mechaniker und Co-Pilot der AN2 in der DDR und nach dem Mauerfall im Verein tätig. Dadurch waren wir oft auf dem Flugplatz. Für mich war das ein großer Spielplatz. Schon als Kind erklärte ich Besuchern das komplette Cockpit und die Instrumente. Oft bin ich auch bei meinem Vater mitgeflogen. Mit 18 sagte mein Vater dann: „So, wir gehen jetzt springen, aber kein Tandem!“ Also machte ich in Großrückerswalde bei den Rüwalders die Ausbildung. Da ich aber zu der Zeit schon in Hamburg gewohnt hatte, war der Weg jedes Wochenende zu weit zum Fahren. 2010 begann ich dann mit der AFF-Ausbildung in Hartenholm. Seitdem bin ich eigentlich immer fast jedes Wochenende von April bis Oktober gesprungen.

Was macht für Dich die Faszination dieser Sportart aus?
Die Gemeinschaft ist klein, aber sehr divers. Alle Persönlichkeiten und Charaktere sind vertreten. Man hat Spaß am Sport, dem Fortschritt in den Disziplinen und hilft sich gegenseitig. Inklusion wird hier wirklich gelebt. Es ist vollkommen, ob man eine Behinderung hat. Es wird zusammen gesprungen und so geflogen, dass alle mitkommen und Spaß haben. Wir genießen die Freiheit in der Luft im Freifall oder am Schirm. Ebenso die Abende am Grill oder Lagerfeuer.

Dann der Einschnitt 2017. Wie hast Du nach Deinem Unfall zum Sport zurückgefunden?
Ich hatte ein unglaubliches Umfeld an Familie und Freunden, die mich durch die Unfallzeit getragen haben. Zudem bin ich ein grundsätzlich sehr positiv gestimmter Mensch, was wir sicherlich ebenso geholfen hat, nicht den Mut zu verlieren. Hinzu kommen gute Ärzte und Therapeuten, das Windtunnel-Training nach knapp zwei Jahren zur Vorbereitung und zum Testen des Freifallflugverhaltens mit Prothese, eine Ausrüstung mit größerer Fallschirmkappe und meine langjährige Erfahrung.

Und wie gehst Du mit der Angst um?
Ich habe keine direkte Angst. Es ist eher Respekt vor dem Sport und das Bewusstsein, dass Gefahren existieren, die wir im Flugsport generell nur minimieren, nicht aber restlos ausschließen können.

Welchen Sprung wirst Du nie vergessen?
Da kann ich nicht „den einen Sprung“ nennen, aber es sind in der Tat wenige besondere: Voss, Norwegen, die Landschaft mit schneebedeckten Bergen und dem Tal am See. Näsinge, Schweden, und der wegen Mittsommer nicht endende Sonnenuntergang. Insel Usedom, 4.000 Meter Schirmflug vom Beginn der Insel nach Westen zum Flughafen und zurück. Oder Dubai, über dem Hafen rausspringen, an den Hochhäusern entlangfliegen und an einer Palme landen.

Und was ist Dein Lieblingsort in Sachsen, über dem Du gerne abspringen würdest?
Leipzig. Schon als Kind eine moderne Stadt, die ich sehr mochte. Mit dem Sportevent „Inklusiv gewinnt“ und unserem Para-TAKEOFF 2025 wird das hoffentlich möglich sein.

Was ist Dein sächsisches Lieblingsgericht?
Spaghetti und Jägerschnitzel.

„Typisch sächsisch“ – was bedeutet das für Dich?
Brodeln und Bemme.

Wie würdest Du die Sachsen charakterisieren?
Konservativ. Natürlich trifft das nicht alle, aber schon eine Mehrheit, die ich kennengelernt habe. Ich finde, den Sachsen könnte ein wenig mehr Offenheit gut zu Gesicht stehen. Raus aus dem Tunnelblick, Lösungen suchen. Vielfalt bereichert! In Skandinavien oder anderen Ländern, die ich bereisen durfte, sind die Menschen deutlich weltoffener und lockerer.

Welches sächsische Wort beschreibt am besten das Gefühl des freien Falls?
Übelst.

Wann hast Du Dich das letzte Mal – und warum – so richtig über die Sachsen geärgert?
Erst vor ein paar Wochen als ich angesehen wurde, als wäre ich ein Außerirdischer - nur, weil ich offen meine Prothese gezeigt habe und kurze Hosen trug. Sofort wird man als „anders“ angesehen. Aber das passiert natürlich nicht nur in Sachsen. Oder neulich im Supermarkt als ein Mann sich über die „fremden Ausländer“ aufgeregt hat. Die Worte, die er benutzt hat, möchte ich hier besser nicht wiedergeben.

Welche Klischees über die Sachsen regen Dich am meisten auf?
Sachsen sind hilfsbereit, gesellig, fleißig und intelligent. Aufgrund des Dialekts werden Sachsen aber oft in anderen Bundesländern als nicht intelligent wahrgenommen. Darüber ärgere ich mich regelmäßig.