Hier wird Familienzusammenhalt geschätzt
Das Lichtfest erinnert jedes Jahr am 9. Oktober an die Friedliche Revolution von 1989.
Wie war Deine Situation 1989, als die Wende näher rückte?
Ich hatte einen Mann und eine Tochter und war arbeitstätig. Mein Mann freute sich besonders über die Wende, da seine Mutter und ihr Mann in Westberlin gewohnt haben. Wir konnten dann jederzeit nach Westberlin fahren. Ich war damals im volkseigenen Betrieb tätig und habe dort als Druckerin für Kranzschleifen gearbeitet. Ich habe die ‚letzten Grüße‘ Buchstabe für Buchstabe gesetzt, und im Anschluss wurde das mit goldener Farbe gedruckt. Das war ein guter Job, wo ich gut verdient habe. Zur Zeit der Wende habe ich in der Innenstadt im Ringbau gewohnt. Ich habe das also alles live erlebt.
Wie war dieses Erlebnis?
Als die Leute die ersten Male gezielt auf die Straßen gegangen sind, das war im Oktober 1989, war das schon ein Tumult und auch etwas beängstigend. Aber man hat bei den vielen Menschen den Zusammenhalt gesehen und gespürt, dass sie eine Veränderung wollten. Am 7. Oktober, dem Tag der Republik in der DDR, haben sich die Leute auf dem Augustusplatz zu einer Demonstration versammelt. Und als sie dann zusammengetrieben wurden, sind sie in Richtung der Häuser geflüchtet. Das war schon ergreifend. Ich denke, dieses Erlebnis war ausschlaggebend für den stärkeren Zusammenhalt und den Willen, etwas zu verändern. Vielen ging es nur um Reisefreiheit, aber wer ein bisschen weiter gedacht hat, wusste auch, dass das Soziale dort anders sein würde.
Wie hat sich das Soziale für Dich verändert?
Der Fokus des Lichtfestes dieses Jahr liegt auf den Frauen der Wende. Wie hat sich die Bindung zu Deiner Tochter in der Zeit der Wende verändert?
Wir hatten in unserer Familie von Anfang an eine starke Bindung. Meine Tochter hat Leistungssport betrieben und durfte nicht auf die Kinder- und Jugendsportschule (KJS), weil ihre Oma im Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) gelebt hat. Wer das nicht selbst erlebt hat, kann das nicht nachvollziehen, wie es war, wenn ein Elternteil woanders gewohnt hat. Ferien bei Oma, so wie heute, waren damals nicht möglich. Meine Tochter hatte schon damals einen starken Sinn dafür, was gerecht und was ungerecht ist.
Der Mensch strebt allgemein immer nach einer Verbesserung. Und wenn man Elternteil ist, möchte man immer mehr für das Kind. Man möchte dem Kind die besten Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
Deine Tochter war diejenige, die zuerst den Wunsch geäußert hat, an den Montagsdemos teilzunehmen. Was meinst Du, wo kam das bei ihr her?
Sie hat es als ungerecht empfunden, ihre Oma nicht besuchen zu können. Wir hatten Glück, wir hatten einen Telefonanschluss, so dass wir zumindest telefonisch in Kontakt bleiben konnten. Meine Tochter hat ihre Oma einfach vermisst. Bis sie zwei Jahre alt war, war Oma jeden Tag da und dann wurde eben dieser Schritt gewählt. Und Kristin hat gemerkt, dass das woanders freier zugeht, und in dieser Entwicklungsphase, mit 12/13 Jahren, strebt man Freiheiten, aber auch Sicherheit an.
Welche Rolle spielten die Frauen bei der Friedlichen Revolution?
Ein Leitspruch des Lichtfestes lautet „ich. die. wir.“. Kannst Du mir sagen, wer „ich. die. wir.“ zur Wendezeit für dich waren und, wer das jetzt ist?
‚Ich‘ wollte damals etwas verändern. Das ‚Wir‘ war der Zusammenhalt zwischen den Menschen. Früher hat man geschaut, was machen ‚die‘, wie geht es denen.
Heute bereite ‚Ich‘ mich auf mein Rentenalter vor und freue mich, dass ich einen Enkel habe. Auch heute hält meine Familie noch stark zusammen. ‚Wir‘ machen viel gemeinsam und können uns immer aufeinander verlassen. Das ‚Die‘ hat sich heute etwas verändert. Diejenigen, die nicht zu deinem Freundeskreis gehören, interessieren dich nicht mehr. Heute sind die Leute viel ich-bezogener. Ich denke da immer noch eher als ‚Wir‘. Wir als Familie schaffen das und nicht einer allein.
Wenn Du zurückdenkst an die Zeiten der Friedlichen Revolution, welche Attribute findest Du da für Dich?
Mutig und gleichzeitig ängstlich. Es hat mich belastet, nicht zu wissen, was kommt. Ich denke, 90% der Bevölkerung waren sehr mutig. Alle sind auf die Straßen gegangen – Männer, Frauen, alle Altersgruppen. Auf eine andere Art waren die Menschen aber auch zurückhaltend und distanziert. Und dann sind sie im nächsten Moment aus sich herausgekommen und haben die Wut herausgeschrien.
Vervollständige bitte folgende Sätze:
1. Wenn ich an meine Tochter denke, … denke ich mit Liebe an sie.
2. Als ich das erste Mal gehört habe, dass die Grenze offen ist, … saß ich mit meinem Mann auf der Couch und habe gejubelt. Wir sind den nächsten Tag dann zu Mama gefahren.
3. Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, … empfinde ich es als schöne Zeiten.
4. In Leipzig … war das, was passierte, aufregend, aber auch interessant.
5. Mein Leben … habe ich mir so gestaltet wie ich es mir gewünscht habe. Nicht alles ging in Erfüllung, aber das Meiste.
Fotos: VIERTELRAUSCH
Grassi Museum
Das Museum für angewandte Kunst ist das zweitälteste Kunstgewerbemuseum Deutschlands. Seine Sammlungen gehören zu den bedeutendsten Europas.
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