Ich bin 1983 geboren, also vor der Friedlichen Revolution schönerweise. Ich bin Dirigentin, und freiberuflich tätig und habe ein Orchester in Hoyerswerda, das ich seit 2015 als Chefdirigentin leite. An der Universität Erfurt habe ich außerdem einen Lehrauftrag und bin ich ansonsten mit freien Projekten unterwegs. Für das Lichtfest 2018 habe ich das Freie Orchester Leipzig ins Leben gerufen.
Wie sah Dein Weg zur Dirigentin aus?
Mein Weg war krumm. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie. Es begann damit, dass ich auf meinem Puppengeschirr angefangen habe, Töne zu erzeugen. Als meine Mutter das gesehen hat, hat sie mich in die Musikschule gesteckt. Wie viele andere Kinder habe ich mit der Blockflöte angefangen, später kam dann die Querflöte dazu und die Geige. Da habe ich meine Liebe fürs Orchesterspiel entdeckt. Als ich selbst im Orchester spielte, war es mein Berufswunsch mal Orchestermusiker zu werden. Als erstes Studium habe ich aber Schulmusik gemacht, als Basis. Im Rahmen dieses Studiums hatte man auch das Fach Dirigieren. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, dass man das dort lernt und war überrascht, als ich es auf dem Stundenplan entdeckte. Natürlich habe ich im Orchester gespielt und da war immer jemand, der das angeleitet hat, aber ich hatte nie die Idee, dass man das lernen kann. Wir mussten uns dann einen Taktstock kaufen und schon bei der ersten Probe habe ich gemerkt, das lief einfach. Ich konnte das. Und sobald ich diesen Taktstock in der Hand hatte, war mir klar: Ich will nicht Orchestermusikerin werden, sondern ich möchte dirigieren. Denn das ist das, was ich kann und liebe. Vor allem die Interaktion mit Menschen, die hat man zwar schon im Orchesterspiel, aber als Dirigent hat man sie noch auf eine ganz andere Weise. Mir macht es einfach Spaß zu führen. Mein Schulmusikstudium habe ich daraufhin abgeschlossen und danach meinen Master in Weimar gemacht. Das war dort meine Wunschhochschule und ich habe mich sehr gefreut, dass das geklappt hat. An der Schule habe ich sehr viel gelernt. Also der Weg war etwas krumm, aber jetzt ist es schön.
Was ist die genaue Aufgabe einer Dirigentin? Denn eigentlich hat ja jeder seine Noten und weiß, wann er einsetzen muss…
Das sieht so leicht aus. Aber je größer der Apparat ist, desto enger muss man die Leute zusammenbringen. Natürlich hören sie aufeinander, aber bei besonders schwerer Literatur, muss man das zusammenkriegen. Das ist die Hauptaufgabe. Das, was mich besonders interessiert, ist das Musikmachen – alles aus den Musikern herauszuholen, sie zu inspirieren und zu Höchstleistungen anzutreiben. Als Dirigentin kann man auch Interaktion einfordern. Es gibt da ganz viele Dreiecke beim Dirigieren. Das heißt, man hat zwar eine zentrale Funktion, aber trotzdem verbindet man Menschen. Das unbändige Musizieren, das ist meine Erfüllung.
Spielt da Empathie eine zentrale Rolle?
Ja, natürlich. Man sollte ein Gespür dafür entwickeln, wann jemand vielleicht auch gar nicht so viel braucht. Da reicht dann manchmal ein Blick und derjenige weiß, er kann seine Sache machen. Man muss als Dirigentin auch loslassen können. Man braucht ein sehr feines Gespür dafür, ob das Orchester in dem Moment Hilfe und Lenkung durch mich braucht oder mache ich vielleicht etwas kaputt, wenn ich die Zügel festhalte? Aber sobald man beim Konzert merkt, es wackelt, muss man helfen. Man muss sehr flexibel sein und schnell reagieren.
Beim diesjährigen Lichtfest liegt der Fokus ganz klar auf Frauen. Ist das in Deinem Berufsfeld etwas Besonderes als Frau zu dirigieren?
Für mich macht das keinen Unterschied, ob Mann oder Frau dirigiert, aber ich nehme wahr, dass das immer ein Thema ist. Als ich letztens irgendwo eingeladen war und erzählt habe, was ich beruflich mache, kamen dann schon Nachfragen wie: „Ach echt, als Frau?“ Das passiert ganz oft. Die Position Dirigent ist in den Köpfen immer noch männlich besetzt. Solche Nachfragen würden beim Beruf der Anwältin nicht gestellt werden. Es gibt aber im Orchester auch Positionen, wo in der Regel Männer spielen wie bspw. die Trompeter, Posaunisten, eben viele Blechbläser, aber auch Schlagwerke, vor allem große Instrumente. Auch da gelten die Frauen eher als Exotinnen. Das wundert mich. In Deutschland haben wir sehr viele Berufsorchester und ich kenne aktuell nur zwei Chefdirigentinnen. Das finde ich ein bisschen wenig. Das ist aber nicht nur in Deutschland so, sondern eigentlich überall, wo man schaut.
Bekommst Du Feedback vom Orchester, speziell auf das Thema bezogen?
Es gibt tatsächlich Unterschiede. Die sind aber nicht fachlicher Natur. Ich habe bisher nur positive Rückmeldung bekommen, was ich sehr schön finde. Eher vom Publikum gibt es manchmal komische Reaktionen. Vor einem Jahr habe ich das erste Mal im Kleid dirigiert, davor war ich immer nur in Hosen unterwegs. Nach dem Konzert kamen dann ganz viele Leute, die meinten, das war so toll, dass Sie im Kleid dirigiert haben. Wo ich dachte, komisch. Niemand würde zu Simon Rattle oder zu anderen großen Dirigenten gehen und sagen: „Toll, was Sie da für einen Frack anhatten.“ Trotz des schönen Kompliments für mich, hat es mich doch etwas verwundert. Sogar Monate später wurde ich noch darauf angesprochen, obwohl ich an dem Tag nichts anders gemacht hatte, außer dass ich eben ein Kleid getragen habe. Das scheint etwas bei den Menschen ausgelöst zu haben, wenn sogar noch Monate später darüber gesprochen wurde. Ich habe das zum Anlass genommen immer im Kleid zu dirigieren. Vielleicht ist es dann irgendwann kein Thema mehr. Das ist das, was ich beim Lichtfest sehr spannend finde: ein Orchester auf die Bühne zu stellen, das nur aus Frauen besteht. Ich glaube, das ist noch mit allen möglichen Assoziationen belegt, wahrscheinlich unbewusst. Als ich noch jünger war, habe ich dann auch schon mal Aussagen gehört wie: „Ach wie schön, dass Sie Dirigentin werden wollen, aber Wagner können Sie natürlich nicht dirigieren.“ Und wenn ich nachgefragt habe, warum nicht, hieß es, das liege nicht außerhalb meiner kognitiven Fähigkeiten, sondern dass ich einfach nicht die Physis eines Mannes habe. Für Wagner brauche man einfach Kraft und eine andere Muskelmasse. Da frage ich mich, woher dieses Denken kommt. Es gibt schließlich auch Frauen, die Olympia laufen. Wieso sollte ich das also nicht dirigieren können? Dieses Denken in Rollen ist einfach noch nicht lange weg. Alle tun so, als wären wir vollständig emanzipiert, aber wir sind es einfach nicht. Frauen kriegen weniger Gehalt, es gibt noch diese klassischen Rollen und man traut Frauen weniger zu. Mein großes Ziel ist es deshalb, Frauen zu ermutigen.
Mein Traum wäre, dass das einfach gar kein Thema mehr ist. Wieso braucht Deutschland eine Frauenquote? Ist es nicht so, dass einfach der oder die Beste den Job kriegen sollte? Viele Frauen in Führungspositionen bekommen oft zu hören, dass sie da nur wegen der Frauenquote drin seien. Auch beim Dirigieren sieht man, dass Frauen in den kleineren Bereichen sehr wohl aktiv sind, bspw. im Kinderchor. Aber die richtigen Chefpositionen haben die Männer. Frauen sind eher in der kleinen Führungsebene anzutreffen. Und ich denke, das hängt damit zusammen, dass man es den Frauen einfach nicht zutraut oder sie für weniger belastbar hält. Und dann heißt es, sie will ja Kinder kriegen. Das kann sie ja auch machen und vielleicht bleibt dann der Mann zuhause oder man schafft beides. Komponistinnen sind für mich auch ein großes Thema. Ich höre immer wieder, es gibt keine Komponistinnen, was einfach falsch ist. Es gibt 500 Opern, die von Frauen komponiert sind. Ich habe in Deutschland noch auf keinem Spielplan jemals eine Oper von einer Frau entdeckt. Und ich habe auch im Konzert nie ein Stück von einer Frau gehört, abgesehen von irgendwelchen kleinen Uraufführungen. Aber dass man mal eine Symphonie von einer Frau hört, die früher gelebt hat… Davon gibt es so viele. Und diese Frauen haben früher so gekämpft, aber anders als bei den Männern, die dann nach dem Tod geehrt werden, bleibt das bei den Frauen aus. Die nächste Frau fängt dann wieder von vorn an. Jede Frau muss sich irgendwie durchboxen.