»Wir sind kein Fahrradladen«, stellt Robert Peschke gleich zu Beginn des Gesprächs in Dresdens Alter Mälzerei, Sitz der Little John Bikes GmbH, klar. Sein Unternehmen verkaufe zwar Räder, doch die seien »nur das Medium«. Der Händler stehe vielmehr für »ein ganzheitliches Konzept«.
Und um das zu erklären, beschreibt der 46-Jährige auf einer Tafel die »Costumer Journey« – jene Phasen, welche Kunden durchlaufen, die aber nicht beim Kauf enden. Durch die Megatrends »E-Bike« und »Bike-Leasing« werde Service zunehmend ein Thema, ist Peschke überzeugt. Er begründet das mit höherem Verschleiß von Mechanik, Elektronik, Hydraulik speziell bei Diensträdern, die landläufig auch als Jobrad bekannt sind. Hinzu komme die Digitalisierung. Vor diesem Hintergrund will der geschäftsführende Gesellschafter »eine geile Firma aufbauen«. Und der Mann aus Krauschwitz bei Bad Muskau ist auf dem besten Weg.
Er und sein Team haben in den vergangenen fünf Jahren 35 Fahrradläden gekauft. »Wir wachsen durch Übernahmen«, sagt Peschke. »Wir scannen den Markt und sprechen vor Ort mit Händlern, ob sie ihr Geschäft übergeben wollen.« Es folge eine Due-Diligence-Phase, in der der Kandidat genau analysiert werde. Little John Bikes nimmt nicht jeden: Nicht zu groß, nicht zu klein, Sortiment und Geografie müssen passen. »Buy and built« ist die Devise: Läden kaufen, integrieren und so eine Infrastruktur aufbauen. Im Gegensatz zu Wettbewerbern, die als Einkaufsgesellschaft agierten, verfolge Little John Bikes (LJB) eine Netzwerk- und Cluster-Strategie.
»Wenn wir einen Laden aufmachen, sind es in drei Jahren sieben bis zehn«, verrät Peschke. Er wolle kleine Firmen nicht plattmachen, sondern Händler, die keinen Nachfolger finden, einbinden. LJB sei im Osten »in der Fläche total präsent«, und es gebe Standorte in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Bremen – in Summe etwa 70 Adressen mit rund 400 Beschäftigten, wenn auch nicht alle unter’m Label Little John Bikes. Bei hoher Kundenbindung bleibe der Name des Vorbesitzers. »Wir arbeiten mit unterschiedlichen Formaten«, sagt er. So gebe es in E-Pedalec-Boutiquen auf kleiner Fläche nur E-Bikes. Eins aber sei allen Brands gemeinsam: der Fokus auf Service und Kundennähe.
»Wir sind das größte Retail-Filialnetz Deutschlands«, sagt der Chef ebenso bestimmt wie stolz. Die Branche sei mit fast 6.000 kleinen Firmen »atomisiert wie vor 30 Jahren und nicht wachstumsfähig«. Kunden wollten aber nicht immer größere Flächen, sondern Nähe, Service und digitale Angebote, so Peschke, der gerade mit ausländischen Ketten verhandelt und bald auch international unterwegs sein will.
Der Oberlausitzer hatte in München und Houston (Texas) Volks- und Betriebswirtschaft studiert und promoviert, das Handelsgeschäft bei Aldi Süd von der Pike auf gelernt und dann als Unternehmensberater in Tunesien den Lebensmittelhändler Aziza mit aufgebaut »von null zum Marktführer mit über 500 Filialen und 5.000 Leuten«.
Der Ex-Leistungssportler im Bahnradsprint hatte schon immer eine Affinität zur Fahrradbranche. Trotz seiner Erfolge entschied er sich 1996 fürs Unternehmertum – auch wegen der damals hohen Leistungsdichte und wegen seines 1er-Abis. »Für einen Typen wie mich ist es ausgeschlossen, langfristig nur als Angestellter zu arbeiten«, sagt der Sachse, den 2017 auch das Heimweh zurück in die Heimat führte.
Er lernte Steffen John kennen – Gründer und Hauptgesellschafter von Little John Bikes, aber mittlerweile ausgeschieden – und stieg als Geschäftsführer ein. 2021 verkauften sie das Unternehmen an eine Beteiligungsgesellschaft, den heutigen Mehrheitseigner. Peschke behielt eine Rückbeteiligung. »Ich bin unfassbar stolz, dass wir es geschafft haben, die Firma profitabel zu machen, und mit einem potenten Investor die Strategie nach vorn treiben können – trotz schwieriger Marktbedingungen.«
Die Sonderkonjunktur durch fette Corona-Jahre ist vorüber. Zwar sind gerissene Lieferketten wieder intakt, aber von vielen Händlern panikartig bestellte und derweil gelieferte Räder verstopfen ihre Lager. Die Folge: ruinöse Rabattschlachten und Pleiten. Dresden und vor allem Chemnitz seien mit Fahrradläden »total überversorgt«, ist Peschke überzeugt. Er sieht Parallelen zu Fitnessstudios, die es in den 1980er-Jahren zuhauf gegeben habe, oft ohne fachliches und betriebswirtschaftliches Wissen. Filialkonzepte und Professionalisierung hätten die Branche aber zu neuem Boom geführt.
Der Oberlausitzer weiß, was er kann. Er ist auf LinkedIn mit 100.000 Impressions pro Woche uneingeschränkter Meinungsführer in Sachen Fahrrad. Der Unternehmer schreibt auch provokante Posts wie »Insolvenzen in der Fahrradbranche sind Treiber für Wachstum und Kundenfokus«. Wer nicht kundenorientiert arbeite, werde irgendwann verschwinden, so seine These.
Peschke, verheiratet und Vater eines Sohnes, hat Ideen ohne Ende. Auch Investitionen abseits des Handels sind für ihn denkbar: in Hersteller, Zubehör, Finanzprodukte – »in alles rund ums Rad, das miteinander agiert und Synergien schafft«. Er setzt sich im eigenen Podcast auch damit auseinander, welchen Sinn ein Unternehmen für die Gesellschaft hat. Die Radbranche sei ein wichtiger Baustein bei der Wende zu nachhaltiger Mobilität, sagt er. Aber sie sei in Industrie und Handel auch extrem maskulin dominiert. Deshalb wolle LJB als Arbeitgeber für Frauen attraktiver werden, helfe ein Rad fahrendes Frauengremium bei Sortimentsauswahl und Markenentwicklung.
Sein Unternehmen ist zudem lokal verwurzelt, sponsert Weißwassers Eishockey-Füchse, steckt mit Partnern jährlich eine sechsstellige Summe in Fahrradtrainings an Schulen, und es unterstützt das Kinderhospiz »Pusteblume« im Spreewald. Das Projekt Pedalino, das schwerstkranke und gesunde Kinder in einem Camp zusammenführt, wurde 2023 beim Dresdner Marketingpreis mit einem Sonderpreis geehrt.
Winkt dem Chef von Little John Bikes nun auch der Fokus-X-Preis »Integration und Inklusion« oder sogar »Die Träumende«?
Der Wirtschaftspreis »Sachsens Unternehmer des Jahres 2024« und der Gründerpreis »Sachsen gründet – Start-up 2024« sind eine Initiative der »Sächsischen Zeitung«, der »Freien Presse«, der »Leipziger Volkszeitung« und des MDR sowie von VW Sachsen, der Beratungsgesellschaft Schneider + Partner, der LBBW, der Gesundheitskasse AOK Plus und »So geht sächsisch«.
Text: Michael Rothe
Bild: Thomas Kretschel