Lebendige Sprache braucht lebendige Literatur (und umgekehrt)
Kennen Sie Chóśebuz oder Budyšin? Wäre mal eine gute Frage für ein Fernsehquiz. Gemeint sind natürlich Cottbus in Brandenburg und Bautzen in Sachsen. Beide Bundesländer sind zweisprachig und beherbergen mit den Sorben eine von vier anerkannten Minderheiten in Deutschland - neben Dänen, Friesen sowie Sinti und Roma. 60.000 Sorben leben in Deutschland, etwa ein Drittel von ihnen spricht die sorbische Sprache. Ihre Rechte sind verfassungsrechtlich geschützt, ihre Interessen werden durch Beauftragte in den Landesregierungen und durch eigene Gremien wie dem Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen Domowina vertreten und geschützt. Die regionalen Rundfunkanstalten RBB und MDR haben sorbische Themen und Sendungen im Programm. Es scheint: Die Sorben sind in der Gesellschaft gut vertreten.
Und doch endet das Wissen über die Sorben oft bei der Folklore – Stichwort: Osterreiten oder die kunstvoll verzierten sorbischen Ostereier. Bei Literatur, gar zeitgenössischer, wird es eher eng. Dem gelernten DDR-Bürger fallen vielleicht noch die beiden Krabat-Bücher des Schriftstellers Jurij Brězan ein. Dem westdeutschen Leser hat der geschätzte Kinderbuchautor Otfried Preußler bereits 1961 mit seinem Buch über die Krabat-Sage ein Türchen in Richtung sorbische Kultur geöffnet.
Dichten auf Sorbisch ist keine Selbstverständlichkeit
Domowina-Geschäftsführer Simon Peter Ziesch betont: „Sorbisch lesen und dichten – das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich dichten sorbische Jungautoren fast im Verborgenen für eine kleine Minderheit. Selbstbewusst, ausdrucksvoll, echt. Die Leser freut das. Sie warten auf mehr. Daher freut es uns besonders, dass der Domowina-Verlag zu den Preisträgern des Sächsischen Verlagspreises 2022 gehört und wir unsere Präsenz auf der Leipziger Buchmesse 2023 einsetzen können, diese Autoren und ihre Werke außerhalb der Lausitz sichtbar zu machen.“
Sorbische Gedichte sind ihre Leidenschaft
Źilka veröffentlicht seit 2015 regelmäßig in verschiedenen sorbischen Zeitschriften - vor allem Gedichte. Zudem hat sie zwei Kinderbücher herausgebracht. In Leipzig feiert nun ihre erste und zweisprachige Gedichtsammlung für Erwachsene, „Pyšpot procha – In Sand und Wolken“, Premiere. Mit ihrem literarischen Schaffen möchte sie einen Beitrag zum Erhalt der bedrohten niedersorbischen Sprache leisten. Auch oder gerade, weil Sorbisch nicht ihre Muttersprache ist.
Dichtender Kürbis, träumende Eule, Hexenleckerbissen
Wider den Niedergang des Niedersorbischen
An ihr mag der drohende Niedergang der niedersorbischen Sprache also nicht liegen, aber natürlich steht auch für Jill-Francis Ketlicojc außer Frage: „Eine lebendige Sprache braucht auch eine lebendige Literatur – und diese wiederum braucht Vielfalt, braucht Nachwuchs, braucht Leserschaft.“ Im Falle des Niedersorbischen gebe es zwei Herausforderungen. „Nur wenige junge Leute erreichen das nötige Sprachniveau. Und: Man muss sich bewusst dafür entscheiden, ausgerechnet in einer Sprache zu schreiben, für die es nur eine relativ kleine Leserschaft gibt.“ Für eine solche Entscheidung brauche es Idealismus und eine Leidenschaft für die Sprache, die sich nicht erschüttern lässt. „Ich habe die Hoffnung, mit meinem eigenen Schaffen auch andere zum Schreiben anzuregen.“
Zumindest ihre Leserzahl könnte sich in absehbarer Zeit vervielfachen. Um die 1.500 Kinder lernen aktuell in brandenburgischen Schulen Sorbisch. Land und Verbände haben diverse Initiativen ins Leben gerufen, die Zahl der sorbisch Sprechenden in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen. Für Niedersorbisch liegt die Zahl nach Schätzungen bei nicht mehr als 2.000. Ehrgeiziges Ziel der Verantwortlichen ist es, die Zahl der sorbisch sprechenden Menschen bis 2100 wieder auf 100.000 zu steigern und bis 2050 zu erreichen, dass diejenigen, die ab 2038/40 zur Schule gehen, zumindest so viel Sorbisch lernen, dass sie es verstehen.
Pógóń
Poł jan wiźim, poł jan rozmějom
wobraz, ak jo rozryty.
Něco gódam, něco zbadajom,
trjebam młoge wopyty.
Pomagaj mě, pomagaj tym słowam,
ako rěcnu rěku twóriś kśě.
Ramik dajomej tym crjopam,
změjomej pón spomnjeśe.
Wěcej wšako, wěcej notne jo –
nowy wobraz, nowa pśichylnosć.
Pógóń sega až na dno –
rěcna zagroda dej rosć!
Ansporn
Halb nur sehe ich, halb nur verstehe ich
das Bild, das zerrissen ist.
Etwas ahne ich, etwas ergründe ich,
brauche ein paar Versuche.
Hilf mir, hilf den Worten,
die einen Sprachfluss bilden wollen.
Wir geben den Scherben einen Rahmen,
dann werden wir eine Erinnerung haben.
Mehr jedoch, mehr noch ist nötig –
ein neues Bild, eine neue Zugewandtheit.
Der Ansporn reicht bis auf den Grund –
der Sprachgarten soll wachsen!
Über die Sorben
Die Sorben sind eine westslawische Ethnie, die bereits ab dem sechsten Jahrhundert im Osten Deutschlands siedelte. In Sachsen leben die Obersorben, in Brandenburg die Niedersorben bzw. Wenden. Aktuelle Schätzungen besagen, dass es noch 20.000 aktiv sprechende Sorben gibt bzw. 60.000 nach subjektivem Zugehörigkeitsgefühl. Etwa zwei Drittel der Sorben leben in der sächsischen Oberlausitz, vorwiegend im katholischen Dreieck zwischen den Städten Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda. Ein Drittel lebt in der brandenburgischen Niederlausitz. Das wesentliche Merkmal sorbischer Volkszugehörigkeit und Identität ist die sorbische Sprache. Obersorbisch (hornjoserbšćina) wird heute in der Oberlausitz und Niedersorbisch (dolnoserbšćina) in der Niederlausitz gesprochen. Während das Obersorbische dem Tschechischen und Slowakischen nähersteht, ist das Niedersorbische dem Polnischen ähnlicher.
Termine von Źilka auf der Leipziger Buchmesse 2023
29. April 2023
- 10:30 bis 11:00 Uhr in Halle 2 (Forum Literatur + Audio, Stand: F303)
Präsentation der neuen Gedichtsammlung "Pyšpot procha – In Sand und Wolken geschrieben" - 12:45 bis 13:15 in Halle 4 (Bühne Sächsischer Verlagspreis)
"Sorbisch dichten, aber ja! Junge sorbische Dichter starten durch."
Domowina Verlag Bautzen
Seit 1958 betreut der Domowina-Verlag als Nationalitätenverlag der Sorben den gesamten Bereich des sorbischen Schrifttums.
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