In Schkeuditz haben engagierte Künstler und Studenten ein Festival für Street-Art auf die Beine gestellt. „RoomBoom“, so der Titel, haucht einer alten Industriebrache neues Leben ein. Wir sprachen mit den Organisatoren.
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Die Straße ist flüchtig. Nichts, was auf ihr geschieht, ist von Dauer; niemand verweilt hier für Ewigkeiten. Und so wie sie selbst, ist ihre Kunst: vorübergehend, ein Stück weit vergänglich. Als in den 90er-Jahren die Graffitis an den Vorstadtfassaden immer öfter Platz für großformatige Wandmalereien und das schmuddelige Wort tag dem gewählteren Begriff Street-Art Platz machen musste, da schien aus den Brachen der Städte eine neue, eine melancholische Kunst zu erwachsen. Denn wie stets auf der Straße überlebte sie selten einmal zwei, drei volle Jahreszyklen. Heute gemalt, morgen verschwunden. Geboren im Windschatten temporärer Strömungen wie Fluxus oder Happening, schoss die Straßenkunst harsche Breitseiten gegen einen konservativen Werkbegriff.
„Unsere Arbeit war von Anfang an befristet“, erklärt Francisco Föse, ein hochgewachsener Architekt und urban artist aus Leipzig, die leicht gedrückte Stimmung der Gruppe. Mit einem Ruck stößt er das graue Eingangstor auf, hinter dem eine weitläufige Industriebrache liegt. Oben im Portal der Tordurchfahrt flattern Fetzen eines rot-weißen Absperrbandes im Wind; letzter Gruß einer Kunstinstallation, die das Berliner Designkollektiv NAICE architecture hier zurückgelassen hat. „Wären all die aufwendig gestalteten Kunstwerke hier tatsächlich nur ein einziges Mal zu sehen gewesen“, sagt Föse, der die Wortführerschaft über die kleine Gruppe übernimmt, „dann wäre eine Wiederbegegnung mit diesem Ort tatsächlich eine traurige Sache.“
Dieser Ort, von dem Föse da redet, bezeichnet das alte ZAW-Gelände im Norden von Schkeuditz. 1938 erbaut, bot es über viele Jahrzehnte unterschiedlichsten Unternehmen Obdach. Zunächst war in den grau-beige verputzten Gemäuern, aus dessen Rissen längst grüne Wildpflanzen wuchern, ein Anlagen- und Maschinenbauer untergebracht, später ein Aus- und Weiterbildungszentrum der Industrie- und Handelskammer. In verschiedensten Sparten wurde man von hier auf die Zukunft eingeschworen: Elektriker, Schweißer, sogar Kosmetikerinnen haben in dem Gebäude gelernt. 2014 aber war Schluss.
Dass diese im September 2019 via Internet verbreitete Selbstauskunft keine prahlerische Hybris, sondern sichtbare Realität war, das beweist noch immer der Blick auf die lange Teilnehmerliste des Festivals: Sie reicht von unbekannten Sprayern aus der Region bis hin zu echten Szenegrößen. „Am Anfang haben wir einen open call gestartet“, erklärt Initiator Föse. Künstler, die man darüber hinaus mit im Boot haben wollte, habe man direkt angeschrieben. Zuweilen habe man sich verwundert die Augen gerieben, wenn dann der ein oder andere tatsächlich zugesagt habe: Der Hamburger Sprayer Flying Förtress zum Beispiel – mit seinen bunten „Teddy Troops“ hat dieser vor Jahren characters kreiert, die man noch heute weit über die Hansestadt hinaus kennt. Oder das Berliner Kollektiv Klub7, deren Bild eine riesige Außenfassade des ZAW-Gebäudes schmückt.
Da ist das in geometrischen Strukturen verlaufende Klebebandbild eines Tape-Art-Künstlers namens Dinopium oder ein fragmentiertes Pop-Art-Mural des prominenten Landshuter Künstlers Martin Gerstenberger, da sind die hastig zurückgelassenen Ventilatoren aus einer Installation namens „5 cool Kids“. Sonst aber ist in der provisorischen Ausstellungshalle nichts mehr. Formen, Farben – aber kein Betrachter. Im kommenden Jahr, sagt Francisco Föse, werde sich das sicherlich ändern. Dann starte die nächste Ausgabe der Raumexplosion „RoomBoom“. So zumindest haben es sich die sechs Freunde vorgenommen. Francisco Föse lässt die schwere Feuertür erneut ins Schloss fallen. Ein Knall – dann herrscht Stille über der weitläufigen Industrievernarbung. Totenstille. Noch ein Jahr bis zur Auferstehung.
Dieser Artikel wurde im Magazin "Mensch & Maschine" in Zusammenarbeit mit Cicero/Monopol publiziert.
Text: Ralf Hanselle, Fotos: Cihan Cakmak