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Die Lebensmittelretter – Direkt vom Beet e.V.

Die Lebensmittelretter – Direkt vom Beet e.V.

Personen in der Natur: Die Lebensmittelretter – Direkt vom Beet e.V.

Interview mit Thomas Seidel (Vorstandsvorsitzender des Chemnitzer Vereins Direkt vom Beet e.V.), nominiert für den Bundespreis „Zu gut für die Tonne“

Viele Menschen legen heutzutage Wert auf eine gesunde Ernährung. Sie hinterfragen die Herkunft ihrer Lebensmittel und achten auf eine nachhaltige Produktion. Herr Seidel, mit Ihrer Plattform „Direkt vom Beet" greifen Sie genau diesen Trend auf. Wie kam es dazu?

Thomas Seidel: Die Idee entstand während einer Veranstaltung zur Vermeidung von Verpackungsmüll. Bei einer intensiven Diskussion über Verpackungsmüll in Supermärkten, Qualität, Preise, Inhaltsstoffe, Transporte und Verfügbarkeit erkannte ich, dass Menschen vom Land und Kleingärtner oft saisonale Überernten z.B. mit Zucchini, Kirschen, Äpfel usw. produzieren und andere Menschen, insbesondere in Ballungsgebieten, vom Handel anhängig sind. Schnell stand fest, dass wir hier eine Brücke bauen wollen.

Können Sie uns kurz erläutern, was das Besondere an Ihrem Marktplatz ist? Wer trifft hier auf wen?

Thomas Seidel: Direktvombeet.de soll Nutzer dazu animieren, Lebensmittelressourcen zu nutzen, die in keiner Statistik aufgeführt sind und dennoch ein riesiges Potenzial haben. Es ist die Überproduktion von Obst und Gemüse von Hof- und (Klein-)Gärten, also Privatgrundstücken.

Über welche Ressourcen und Mengen reden wir hier?

Thomas Seidel: Wir können nicht verlässlich errechnen, wie hoch diese Ressourcen tatsächlich sind. Nehmen wir eine Beispielrechnung: Bundesweit gibt etwa 16 Millionen Haus- und Gartengrundstücke. Wenn je ein Kilogramm Obst oder Gemüse pro Grundstück gerettet werden, sind das 16 Millionen Kilogramm oder 16.000 Tonnen. Anders gesagt, 600 bis 800 Lkw-Ladungen, die eben nicht aus Spanien oder Südtirol über die Autobahn nach Deutschland importiert werden müssen.

Wie kommt Ihre Marktplatz-Idee an?

Thomas Seidel: In der ersten Erntesaison im Jahr 2019 war eine große Nachfrage zu verzeichnen und seit Anfang dieses Jahres steigen die Anmeldenzahlen enorm an. Das stimmt uns positiv.

Ihr Unternehmen ist für den „Zu gut für die Tonne“-Bundespreis nominiert, der am 20. Mai 2021 verliehen wird. Mit diesem Preis zeichnet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) seit 2016 herausragende Projekte aus, die dazu beitragen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. In der Jury sitzen u.a. TV-Moderator Cherno Jobatey und Sternekoch Christian Rach. Insgesamt 160 Projekte aus ganz Deutschland haben sich beworben, Sie sind einer der 16 Nominierten. Herzlichen Glückwunsch zunächst zu dieser tollen Nominierung! Wie wichtig ist Ihnen persönlich der Nachhaltigkeitsgedanke?

Thomas Seidel: Leider wird das Wort „Nachhaltigkeit“ mittlerweile von jedem Discounter verwendet und ist oft eine Mogelpackung. Bei Direktvombeet.de wird Nachhaltigkeit tatsächlich gelebt. Gutes Obst und Gemüse wird an den Verbraucher gebracht, oft sogar kostenlos, Verpackungsmüll wird vermieden und insgesamt damit die CO2-Bilanz verbessert, denn jede NICHTimportierte Frucht spart Energie und CO2, zurückzuführen auf die Produktion, Verpackung und Transporte.

Wie genau erfolgt die Abwicklung, d.h. wie kommt das Kilogramm Boskoop-Äpfel vom Kleingärtner zum ernährungsbewussten Städter?

Thomas Seidel: Als angemeldeter Nutzer schalte ich entweder eine Anzeige oder recherchiere in den vorhanden Angeboten. Dabei verwendet man am besten die Umkreissuche auf der Karte mit verschiedenen Filtern. Habe ich etwas Passendes gefunden, schreibe ich eine kurze Nachricht und erreiche den Anbieter über die App direkt. Nun verabrede ich mich, um die Äpfel zu erhalten. In diesem Jahr planen wir neutrale Übergabeorte, um die Privatsphäre von Nutzern zu schützen bzw. die kontaktlose Übergabe zu ermöglichen.

Hinter dem Marktplatz steckt ein gemeinnütziger Verein, der Direkt vom Beet e.V. Sie arbeiten also komplett ehrenamtlich. Bleibt da noch Zeit für einen Hauptbroterwerb?

Thomas Seidel: Aber ja! Es führt jedoch dazu, dass ich oft ich als Weltverbesserer bezeichnet werde. Für Direktvombeet.de sitze ich meist abends noch am Laptop und beantworte E-Mails oder nehme Verbesserungen oder Erweiterungen online oder an der App vor.

Nachbarschaftshilfe hat in den zurückliegenden Monaten, gerade auch pandemiebedingt, ein großes Revival erlebt, denn in Krisensituationen rücken die Menschen oft zusammen. Haben Sie mit Ihrem Verein davon profitiert, im positiven Sinne?

Thomas Seidel: Leider ist das Gegenteil der Fall. In Zeiten, wo die Angst dauerhaft so hochgehalten wurde und wo Lieferdienste dem Einweggeschirr ein Revival bescherten, hatten die Menschen offensichtlich andere Dinge im Kopf als den Umweltschutz und die Nachhaltigkeit. Umso mehr freue ich mich auf die Erntesaison 2021, auch durch die Nominierung für den Bundesnachhaltigkeitspreis „Zu gut für die Tonne“. Dadurch hat unser Projekt eine große mediale Präsenz.

Gibt es regionale Unterschiede in der Akzeptanz Ihrer Idee (wird direktvombeet.de in Berlin weniger/mehr genutzt als bspw. in Sachsen?) und wenn ja, worauf führen Sie das zurück?

Thomas Seidel: Auf jeden Fall. In Mecklenburg-Vorpommern und dort ganz besonders im ländlichen Raum haben wir kaum Nutzer. Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass das Tauschen und die Weitergabe von Überernten am Straßenrand „analog“ sowieso gelebt wird. Wir kennen alle die Tüten mit Äpfeln am Gartenzaun oder die Wagen am Straßenrand, wenn man durchs Dorf fährt. Hohe Nutzerzahlen gibt es dagegen in Ballungsgebieten, wo das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die Nachfrage nach Bio-Früchten sehr groß ist. 

Wenn man sich für Ihre Idee begeistert und Sie unterstützen möchte, wie kann man sich engagieren?

Thomas Seidel: Da gibt es viele Möglichkeiten. Der schnellste Weg ist, sich einfach als Nutzer anzumelden, mitzumachen und Freunden, Bekannten, Kollegen oder in sozialen Netzwerken davon zu erzählen. Je mehr mitmachen, desto mehr Angebote gibt es, und noch mehr Nutzer werden mitmachen. Da Direktvombeet.de kostenlos und komplett privat finanziert ist, würden wir uns zudem über Sponsoren oder Spenden an unseren gemeinnützigen Verein freuen. Die Gelder stellen den Betrieb und die Weiterentwicklung sicher. Und wer sich aktiv im Verein engagieren und bei den Aktionen mitmachen möchte, der wird Vereinsmitglied.

Herr Seidel, abschließend die Frage: Wenn man die Welt ein kleines Stück besser machen möchte, nachhaltiger, muss man sicher eine große Portion Idealismus in sich tragen, aber auch Pragmatiker sein. Wo würden Sie sich persönlich „einsortieren“?

Thomas Seidel: Pragmatischer Idealist, das trifft es am besten. Ich denke, an der Idee ist deutlich erkennbar, wie groß offensichtlich meine Portion Idealismus ist. Dennoch muss ich teilweise sehr pragmatisch agieren, um die vielen Ideen im Kopf nebenberuflich umzusetzen.

Vita:

  • Thomas Seidel, 49 Jahre, aufgewachsen in Cottbus
  • seit 20 Jahren wohnhaft in Chemnitz und Umgebung
  • gelernter Elektromonteur, IT-Quereinsteiger seit 1996, zuerst selbstständig, dann IT-Servicetechniker und Administration, später Programmierung und Anwendungsentwicklung
  • seit 20 Jahren bei KISA – Kommunale Informationsverarbeitung Sachsen tätig, erst als Anwendungsentwickler, später im Projektmanagement
  • seit 10 Jahren mit Leib und Seele Kundenmanager für sächs. Kommunalverwaltungen mit der Spezialisierung Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsdigitalisierung, Content-Management-Systeme und DMS/E-Akte-Systeme
  • Mitglied des Kleingartenbeirates der Stadt Chemnitz