Durch dick und dünn
Tradition bedeutet, immer dasselbe zu machen – aber immer anders. Wie das geht, erfährt man im ältesten Spielzeugladen der Welt. Der Spielwarenladen Carl Loebner in Torgau ist ein Familienunternehmen, das vor 332 Jahren gegründet wurde und heute in der 11. Generation geführt wird. Anfangs gab es hier nur Holzspielzeug – heute lebt das Geschäft vor allem vom Internet. Und falls in 100 Jahren Spielzeug nur noch virtuell existiert? Wird den Sachsen auch dazu etwas einfallen.
Geschichtsträchtig
Der Spielwarenladen Carl Loebner, benannt nach der siebten Generation, die als erste einen Namen über die Schaufensterbögen schrieb, ist damit das älteste Spielzeuggeschäft in Deutschland. Der MDR hatte 2003 für eine Fernsehsendung bei Finanzämtern und Industrie- und Handelskammern nachrecherchiert. Ein älteres fanden sie nicht.
Mit viel Findigkeit und ein wenig Glück haben es die Loebners geschafft, ihr Geschäft vier Jahrhunderte lang durch Kriege und Krisen zu führen. Unter der Besatzung Napoleons entkam ein Vorfahr nur knapp dem Exekutionsbefehl wegen nicht bezahlter Steuern. Während der Inflation waren im Dezember 1923 auf einmal 3,7 Billiarden Reichsmark in der Kasse, aufgrund der Weltwirtschaftskrise wenige Jahre später war ein Tiefpunkt mit nur noch 18,22 Reichsmark erreicht.
Im Zweiten Weltkrieg hatte die Familie das Glück, dass ihr Haus von Bomben verschont blieb. Nach Kriegsende war sie findig genug, Waren aufzutreiben, obwohl die deutsche Spielzeugindustrie am Boden lag. Jörg Loebners Vater reiste damals mit zwei Koffern durchs Land und sammelte, was er kriegen konnte. Sobald ein Koffer voll war, schickte er die Ware zum Verkauf nach Torgau.
Als zu DDR-Zeiten alle Betriebe mit zehn oder mehr Mitarbeitern verstaatlicht werden sollten, half das Schicksal, denn bei Loebners arbeiteten neun – eine Verkäuferin hatte kurz zuvor gekündigt. Und bei der Warenzuteilung gelang es der Familie – mittels Charme und kleiner Präsente – zusätzliche Artikel abzustauben. Mit Waschbecken, Trabi-Scheiben und Schnaps, die in Torgau produziert wurden, fuhren Jörg Loebner und sein Vater ins Erzgebirge, um sie gegen Holzspielzeug und Nussknacker zu tauschen. „Man musste nur kreativ sein bei der Warenbeschaffung“, sagt er. „Der Rest lief von selbst.“ Wenn mittwochs Nachschub an Spielzeug kam, war er freitags ausverkauft.
Man kann sich gut vorstellen, wie Jörg Loebner den Leuten Ware abschwatzte. Er ist ein freundlicher Mann mit einem herzlichen Lachen. 1987 hat er das Geschäft übernommen – als sein Vater 65 wurde. „Auf den Tag genau“, sagt Loebner. Den guten Posten als Direktor für Materialwirtschaft eines Kombinats für Modellbausätze ließ er sausen. Wenn das Geschäft ruft, kommen die Loebners.
Der Countdown läuft
Das Geschäft blüht
Vom Laden allein könnten sie schon lange nicht mehr leben, trotz der idealen Lage nahe beim Marktplatz. Im Sommer kommen zwar jeden Tag Touristen, die der Elbe-Radweg in die Stadt spült. Die Torgauer aber kaufen im Einkaufszentrum außerhalb – oder eben im Internet. 2010 beschloss Loebner dahin zu gehen, wo die Kunden sind. „Das war die Entscheidung meines Lebens“, sagt er.
Er investierte viel in den Aufbau eines Lagers und die Programmierung von Verwaltungssoftware. Wenn heute ein neuer Artikel eintrifft, steht er per Knopfdruck in wenigen Sekunden bei Amazon und Ebay online, versehen mit einer Preis-Automatik, die ihn ein bisschen günstiger anbietet als bei der Konkurrenz. „Das läuft richtig gut“, sagt Loebner.
Jörg und Ingo Loebner sind zuversichtlich, dass es weiter gut läuft. Jörg Loebner will außerdem ins „Guinness World Records“-Buch. Momentan trägt ein Londoner Geschäft den Titel des ältesten Spielzeugladens der Welt. Es wurde 1760 gegründet, also 75 Jahre nach Loebner. Der Unternehmer hat die nötigen Beweise und Dokumente für den Antrag schon beisammen.
Links
Die Website des Spielwarenladen Carl Loebner grüßt ihre Besucher mit: „Seit über 330 Jahren zufriedene Kunden.“ So was schon mal gesehen?
Das älteste Unternehmen Deutschlands ist übrigens ein Weingut an der Mosel, das 862 gegründet wurde.
Und das älteste Unternehmen der Welt ist ein Hotel in Japan, gegründet im Jahre 705.
Quelle:
brand eins Wissen / Sachsen machen! - Was heißt hier: "Geht nicht!"?
Text: Anika Kreller, Fotos: Anne Schönharting
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