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Das Trachtenhaus Jatzwauk

Stoffe stapeln sich in den Regalen, Schnittmuster liegen fein säuberlich nebeneinander gereiht, Figurinen schmücken sich mit farbenfrohen, filigranen Trachtenteilen. Die fast einhundertjährige Geschichte ist im Trachtenhaus Jatzwauk in Hoyerswerda überall spürbar. Für Kirsten Ann Böhme, Urenkelin des Gründers Johann Jatzwauks, ist ihr Atelier ein Ort des kreativen Schaffens, an dem sie die hohe Kunst der Trachtenmaßschneiderei zelebriert und zugleich in die Moderne führt. Denn sorbische Trachten sind, wenn es nach Böhme geht, beileibe nicht gestrig – ganz im Gegenteil. Was sie und ihre Mitarbeiterinnen tagein, tagaus an sorbischen Trachten restaurieren und schneidern, ist in der „Trachtenschatzkammer“ und im „Blaudruckkabinett“ zu bestaunen.

Tochter Anna und Vater Johann beim Tüll- und Lochsticken, Foto: Archiv Trachtenhaus Jatzwauck

Trachten in vierter Generation

Böhme führt das Trachtenhaus Jatzwauk in vierter Generation. 1926 vom sorbischen Kaufmann und Trachtenschneidermeister Johann Jatzwauk gegründet, ist die Trachtenschneiderei die älteste in der Region und zugleich ein Ort, an dem Tradition, Handwerkskunst und mit der sorbischen Tracht ein kulturelles Erbe bewahrt und lebendig gehalten werden. Wir haben mit Kirsten Ann Böhme gesprochen, über ihre Leidenschaft für das besondere Handwerk der Trachtenschneiderei und vieles mehr.

Frau Böhme, war Ihnen immer schon klar, dass Sie die Geschäfte Ihrer Familie eines Tages weiterführen werden?

Als ich als junges Mädchen im Trachtenhaus nähen lernte, träumte ich davon, irgendwann einmal als Designerin arbeiten zu können. Aber Ende der 1980er-Jahre war es in der DDR gar nicht so einfach, über seinen beruflichen Werdegang selbstbestimmt zu entscheiden. Erst viel später als ich im Westen als Architektin arbeitete, wurde mir klar, welch einzigartiger Schatz dieses Haus birgt. Ich entschied mich, es weiterzuführen bevor es in Vergessenheit geraten würde.

 

Wenn Sie die Entwicklung des Unternehmens seit seiner Gründung im Jahr 1926 in drei Worten beschreiben müssten, welche wären das?

Das ist gar nicht so einfach, denn die Entwicklung verlief ja ganz und gar nicht geradlinig. Wahrscheinlich wären es die drei Worte: Auf und ab! Wie eine Achterbahnfahrt.

Ankleiderfrau Renate Scharf zur Vogelhochzeit in Bergen bei Hoyerswerda, Foto: Jakob Levy
Johann Jatzwauk als Hochzeitsbitter, 1950er Jahre, Foto: Archiv Trachtenhaus Jatzwauk

Wie sehr prägt der Urgroßvater und seine Philosophie die Geschicke Ihres Unternehmens noch heute? Welche Spuren hat er hinterlassen?

Mein Urgroßvater war nicht nur Unternehmer und Handwerker, sondern ein Bewahrer der sorbischen Identität. Für ihn war es essenziell, Wissen und Können an die nächste Generation weiterzugeben. Das ist uns bis heute eine Herzensangelegenheit. Die Idee, durch Zusammenarbeit – zunächst innerhalb der Familie, später durch Vereinsstrukturen – das kulturelle Erbe zu sichern, geht auf seine Philosophie zurück.

Bis heute prägt unsere Arbeit aber auch die hohe handwerkliche Qualität und Detailgenauigkeit, auf die er stets Wert legte. Und er erkannte früh, wie wichtig Kundenbindung ist. Nach wie vor sehen wir unsere Besucher nie nur als Kunden, sondern als Gäste oder gar Freunde des Hauses.

Gibt es ein Familiengeheimnis, eine Maxime, die von Generation zu Generation weitergegeben wird?

Es ist wohl der Spruch meiner Urgroßmutter Helene: „Mit Gottes Hilfe!“ Diese Maxime erinnert mich immer an die Bescheidenheit und Demut, mit der meine Urgroßeltern das Trachtenhaus geführt haben. Es ist die tiefe Einsicht, dass nicht alles allein in menschlicher Hand liegt. Durch alle schwierigen Krisensituationen hinweg leitete sie die Maxime und diente später auch mir als Quelle der Hoffnung und Zuversicht.

Foto: Christina Czybik
Foto: Christina Czybik

Frau Böhme, Sie schneidern ja nicht nur mit viel Herzblut Trachten, sondern sind auch sehr vernetzt und tun viel dafür, nicht nur die Tradition zu bewahren, sondern sie auch für neue Einflüsse zu öffnen. Wie genau muss man sich das vorstellen?

Zum Beispiel haben wir mit Drasta Digital ein großes Digitalisierungsprojekt angeschoben. Hier geht es darum, Originaltrachten zu digitalisieren, d.h. in 3D zu erfassen und danach zu animieren, sodass sie lebendig wirken und mit ihnen gearbeitet werden kann. Ich sage nur: Patina war gestern.

Oder ein anderes Beispiel: Wir haben das traditionelle Blaudruckverfahren revolutioniert, vom klassischen dunklen indigoblau-weiß hin zu dunkelblau-hellblau-weiß. Und der Zuspruch auf diese Trachten ist enorm. Gerade bei uns in der Region gibt es viele Zugewanderte, die interessanterweise großes Interesse am Tragen einer Tracht haben. Ihnen eine evangelische oder katholische Tracht nahezulegen, funktioniert nicht, aber mit den Möglichkeiten, die unser neues Blaudruckverfahren bietet, können wir dieses Interesse ganz wunderbar befriedigen. Das beglückt mich sehr, denn ich freue mich über jeden, der Interesse an der sorbischen Tracht hat und sie tragen möchte.

Würden Sie sagen, die sorbische Tracht hat sich über die zurückliegenden vier Generationen verändert? Und wenn ja, wie?

Die sorbische Tracht hat sich sehr deutlich geändert, vier Generationen sind ein großer Zeitraum, wir sprechen hier über mehr als hundert Jahre. Tracht war Bestandsteil des täglichen Lebens und Ausdruck der regionalen Identität. Im Zuge der Industriellen Entwicklung wurde die Tracht im Alltag von moderner Konfektionskleidung abgelöst.

Historische Fotos sorbischer Trachten im alltäglichen Leben, Foto: Archiv Trachtenhaus Jatzwauk

Die maßgeschneiderten und sehr wertvollen Trachten werden heute nur noch zu besonderen Anlässen getragen. Deswegen sind viele Variationen der Tracht verlorengegangen, andere haben nur in Form von stilisierten Bühnentanztrachten überlebt. Tracht ist ja auch keine Uniform, sie unterliegt ja auch modischen Einflüssen und so haben sich über die Jahre sowohl die verwendeten Materialien als auch die Schnitte oder Rocklängen verändert, und in manchen Regionen hat es sich auch durchgesetzt, dass keine Kopfbedeckungen mehr zur Tracht getragen werden, obwohl ich das nicht in jedem Falle begrüße, da zumindest zu einem vollständigen formalen Outfit eben auch Strümpfe, Schuhe und eine Kopfbedeckung bzw. Haarschmuck gehören sollten.

Foto: Archiv Trachtenhaus Jatzwauk

Sie sind im besten Sinne Bewahrer der sorbischen Tracht. Wofür steht diese? Heimat? Identität? Vergangenheit? Zukunft?

Eine Tracht hat immer einen regionalen Bezug. Somit stehen die sorbischen Trachten für die Lausitz als Heimat der sorbischen Bevölkerung. Gerade für diese ist die Tracht ein Symbol für die Zugehörigkeit zum sorbischen Volk. Man kann heute noch ablesen, wer verheiratet ist oder wer sich der katholischen oder evangelischen Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlt. Aber auch alle anderen in der Lausitz Lebenden können über eine regionale Tracht, z.B. unter Verwendung von Blaudruckverfahren ihre regionale Verbundenheit zum Ausdruck bringen. Die Tracht weist durchaus in beide Richtungen, denn die Bewahrung von Traditionen und Handwerkstechniken bilden Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Im Trachtenhaus werden Trachten restauriert und auch neu angefertigt. Wer fragt das an?

Wir unterstützen einzelne sorbische Trachtenträgerinnen ebenso wie Chöre und Tanzgruppen der Lausitz. Die Kindergärten sind uns ein ganz besonderes Anliegen. Darüber hinaus kommen auch Anfragen von Lausitzern, die sich gerne anderweitig in regionaler Tracht – historisch oder modernisiert – zeigen wollen, z.B. zum Oktoberfest in Bayern oder zu einer Hochzeit in Amerika. Wir beraten jeden gerne!

Hat Tracht, haben Trachten eine Zukunft? Was ist Ihre Erfahrung?

Ich denke schon, dass Trachten eine Zukunft haben, weil sie doch ein Ausdruck regionaler und kultureller Identität sind, besonders in einer globalisierten Welt. Außerdem stehen die traditionellen Trachten für Qualität, Handarbeit und Nachhaltigkeit; Werte die gerade eine Aufwertung und zunehmend Anerkennung erfahren.

Schürze mit Bluadruckmuster, Foto: Jakob Levy

Liebe Frau Böhme, herzlichen Dank für das Interview!

Titelbild: Ann Kirsten Ann Böhme beim Ankleiden einer jungen Frau in sorbischer Tracht, Foto: Christina Czybik