Familienpatin
Constanze Wutke hat ein großes Herz. Darin hat nicht nur ihr eigenes Kind Platz, sondern viele mehr. Constanze Wutke ist Familienpatin. Die 37-Jährige gelernte Fremdsprachenassistentin und heutige Vertriebsassistentin aus Oberschöna ist eine von aktuell 61 Familienpatinnen und Familienpaten, die sich im Kreis Mittelsachsen im Projekt „Familienpaten - mehr als Zeit" ehrenamtlich engagieren. Und das noch nicht einmal so lange. Um genau zu sein: seit Oktober 2020. Das Programm wird durch die Bundesstiftung Frühe Hilfen getragen, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Vergleichbare Projekte gibt es in ganz Sachsen. Was sie eint: großes ehrenamtliches Engagement und der Wille, Kinder bis drei Jahre und ihre Eltern in oft herausfordernden Situationen durch den Alltag zu begleiten. Ein Einblick.
Frau Wutke, Sie haben sich 2020, also auf dem Höhepunkt der Pandemie, entschieden, als Familienpatin zu arbeiten. Zu einer Zeit, als viele Familien am Limit waren. War das auch Ihr Eindruck und vielleicht auch ein Beweggrund für diese Entscheidung?
Die Idee, meine freie Zeit zu nutzen, um anderen Menschen unter die Arme zu greifen, hatte ich schon länger. Im Sommer 2020 sah ich dann den Aufruf im Magazin #gesichtzeigen aus Freiberg zum Projekt „Familienpaten“. Das war genau mein Ding! Zum einen hatte ich durch die Pandemie tatsächlich mehr freie Zeit zur Verfügung, zum anderen war es ganz klar, dass gerade in dieser Zeit viele Familien noch mehr Unterstützung benötigten als ohnehin schon.
Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie gerade am Anfang gemacht?
Die Anfangszeit war natürlich durch die Pandemie bestimmt. Die ersten Treffen mit der Familie konnten nur draußen stattfinden. Geplante Besuche mussten manchmal aufgrund von Krankheit kurzfristig abgesagt werden. Das hat natürlich den Prozess, Vertrauen aufzubauen, nicht unbedingt einfacher gemacht. Aber genau darum geht es: sich Zeit zu nehmen, um einander kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Vertrauen ist das A und O.
Gibt es Momente, die Sie besonders bewegt haben in Ihrer Arbeit?
Für viele Familien ist es unglaublich anstrengend und schwierig, alltägliche Termine zu planen und wahrzunehmen, Dinge zu organisieren. Durch meine Arbeit ist mir noch bewusster geworden, dass ich mich sehr glücklich schätzen kann, ein intaktes soziales Netzwerk zu haben, auf das ich mich verlassen kann. Dieses Glück haben nicht alle, und genau da kann ich als Familienpatin unterstützen.
Wie begegnen Ihnen die Menschen?
Die Familien stehen dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüber und sind dankbar, wenn sich ein Familienpate findet, der im Alltag helfen kann. Ich habe zunächst eine alleinerziehende Mama mit ihrem damals zweijährigen Sohn betreut. Bei den ersten Treffen waren wir immer zu dritt unterwegs. Natürlich wollte die Mama mich erst mal kennenlernen. Später bin ich mit dem Kleinen dann auch allein zum Spielplatz oder wir haben zu dritt in der Wohnung gespielt und gequatscht.
Um vielleicht auch mit dem Vorurteil aufzuräumen, vor allem Familien aus schwierigen sozialen Verhältnissen benötigen eine Unterstützung wie die Ihre. Mit welchen Situationen werden Sie im Familienalltag konfrontiert?
Die Familien, die Unterstützung benötigen, sind total unterschiedlich. Zum einen die alleinerziehende Mama, die kein Netzwerk hat und froh ist, wenn sie mal zwei Stunden in Ruhe einkaufen gehen kann und ihr Kind gut betreut weiß. Die Großfamilie, die manchmal an ihre Grenzen kommt, weil sie nicht immer allen gerecht wird. Die Familien, in der beide Elternteile arbeiten gehen und froh sind, wenn die Kinder zweimal pro Woche von der Kita abgeholt werden können, ohne, dass sie eher von der Arbeit losmüssen. Manchmal sitzt man als Familienpatin auch einfach mal beim Kaffee zusammen und redet über den Tag.
Sie leben und arbeiten in Freiberg, Sachsen ist Ihre Heimat. Was bedeutet für Sie „typisch Sächsisch“?
Typisch sächsisch sind natürlich der unverkennbare Dialekt, die Freiberger Eierschecke und Erzgebirgische Volkskunst.
Was bedeutet Ihnen Heimat?
Heimat ist für mich der Ort, an dem ich aufgewachsen bin und vieles zum ersten Mal gemacht habe. Das bleibt für immer.
An welchen Lieblingsorten sind Sie am ehesten anzutreffen?
Ich gehe gern in Oberschöna und Umgebung spazieren und laufen, treffe mich mit meinen Lieblingsmenschen zum Essen in der „Stadtwirtschaft“ oder im „Tre Viêt“ in Freiberg, werde immer wieder gern zum Leuchtturm Moritzburg zurückkehren, weil ich da meine große Liebe kennengelernt habe, gehe im Sommer mit meinem Sohn baden und Eis essen am Erzenglerteich und entdecke immer noch neue schöne Orte in Sachsen.
Welche Klischees über die Sachsen regen Sie am meisten auf?
Dass alle Sachsen Hinterwäldler sind.
Wie ist es Ihrer Meinung nach um das Image Sachsens bestellt?
Es gibt Momentaufnahmen, die kein gutes Licht auf Sachsen werfen. Leider bleiben diese oft länger im Gedächtnis als all die vielen positiven Momente. Es gibt aber so viele tolle Menschen, Veranstaltungen und Aktionen, bei uns in Freiberg zum Beispiel der Begegnungsmarkt vom Bündnis „Freiberg für alle“, der „Markt der Nachhaltigkeit“; der Welterbe-Lauf und vieles mehr. Ich denke, auf diese positiven Ereignisse sollten wir uns konzentrieren.
Was ist die größte Herausforderung, der sich Sachsen Ihrer Meinung nach perspektivisch wird stellen müssen?
Dass die ländlichen Gegenden und die Menschen, die dort gern leben, nicht vergessen werden und mit ihnen ZUSAMMEN geschaut werden muss, wie es weitergehen kann, was verbessert und wie die Zukunft gestaltet werden kann. Die Themen und Vorstellungen sind von Region zu Region, von Dorf zu Dorf sicher verschieden. Aber wenn sich Menschen gehört fühlen, dann läuft auch das Miteinander wieder besser. Dann kommt die Einsicht, dass es viel toller ist mitzumachen, anstatt nur zu meckern.
Hinweis:
Interessierte Familien, die Unterstützung im Alltag benötigen, können sich in Mittelsachsen bei den Projektkoordinator*innen des Deutschen Kinderschutzbundes in Freiberg, beim AWO Familienzentrum in Döbeln oder beim Netz-Werk e.V. in Mittweida melden.