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„KI-Anwendungen sind keine Kreativakteure.“

KI-Anwendungen sind keine Kreativakteure

Leipzig

Künstliche Intelligenz in der Literaturbranche – Fluch oder Heilsbringer?

Interview mit Prof. Dr. Sven Stollfuß, Experte für Medienwandel mit Schwerpunkt Buchkultur und digitale Publikationen an der Universität Leipzig

Herr Prof. Dr. Stollfuß, Sie beschäftigen sich mit den Transformationsprozessen der Medien-, Buch- und Publikationskultur durch digitale und soziale Medien sowie die künstliche Intelligenz. Was würden Sie sagen, wie die deutschen Verlage zu KI in ihrer täglichen Verlagsarbeit stehen?

Das Bild ist recht ambivalent. Einerseits herrscht durchaus eine gewisse Experimentierfreude. Nehmen Sie beispielsweise den Versuch von Springer Nature, ein Buch gemeinsam mit einer KI zu schreiben. Der Einsatz von KI im Alltagsgeschäft kann durchaus hilfreich sein – etwa für Zusammenfassungen, Recherchen und dergleichen mehr. Andererseits gibt es aber auch eine große und sehr berechtigte Skepsis. Es gibt viele rechtliche Unklarheiten, insbesondere im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen. Auch stellt sich die Frage, was mit dem Einsatz von KI an kreativer Leistung überhaupt möglich ist.

Was sind typische KI-Technologen (KI-Tools) in der Verlagsbranche und wo werden sie jetzt schon eingesetzt?

Das unterscheidet sich von Verlag zu Verlag. Bei wissenschaftlichen Verlagen stehen zum Beispiel andere Möglichkeiten und auch Herausforderungen im Vordergrund als etwa im Informations-/Nachrichtenbereich. Und wieder eine andere Unterstützung ist im Bereich der Genreliteratur oder in der Belletristik möglich. Aber um ein grobes Bild zu geben: KI-Anwendungen können insbesondere im Alltagsgeschäft hilfreich sein. Das betrifft vor allem den administrativen und redaktionellen Bereich. Also die schon angesprochenen Bereiche Lektorat und Übersetzung, aber auch die automatisierte Recherche und Textzusammenfassung, die statistische Auswertung (zum Beispiel für das Leseverhalten auf den eigenen Plattformen), die Gestaltungsarbeit (z. B. für Designvorschläge oder auch für Präsentationen) und natürlich die Marktforschung und das Marketing.

Welche Arbeitserleichterungen leistet die KI konkret?

In erster Linie geht es um Produktivitätssteigerungseffekte durch Zeitersparnis sowie ressourcensensibles und kosteneffizientes Arbeiten. Routinearbeiten werden durch KI effizienter, freiwerdende Kapazitäten können anderweitig eingesetzt werden.

Welche Risiken sehen Verlage zu Recht?

Soweit ich das beurteilen kann, scheinen mir gerade die rechtlichen Fragen und Lücken in der Regulierung national wie supranational drängend zu sein. 

Damit sprechen Sie ein wichtiges Thema an: Die Angst, dass KI Aufgaben übernehmen kann, die die Menschen - Übersetzer, Lektoren, PR-Leute – überflüssig machen könnte. Wie sehen Sie das?

Mein Eindruck ist gegenwärtig, dass es in erster Linie um die Anpassung von Berufsprofilen geht. Übersetzungen, Lektorate und Aufgaben im Marketing, aber auch in der Social-Media-Arbeit, werden auch bisher schon durch unterschiedlichste Programme unterstützt. Mit KI-Anwendungen ist in jedem Fall aber ein qualitativer Sprung verbunden, der mit den Softwarelösungen vergangener Tage nicht mehr vergleichbar ist. Dass das aber mit einem rigorosen Verlust ganzer Arbeitsfelder einhergeht, ist nicht erkennbar. Gerade bei komplizierten sprachlichen Zusammenhängen, die es zum Beispiel bei Übersetzungen und anderen Tätigkeiten im Literaturbereich zu berücksichtigen gilt, ist die KI allein nicht unbedingt die beste Wahl. KI-Anwendungen sind ja keine Kreativakteure. Sie können in bestimmten Arbeitsbereichen aber eine sinnvolle Unterstützung sein.

Was wird die KI (womöglich) nie können?

Eine KI ist aus sich heraus keine kreative Akteurin. Eine KI kann auch keine emotionalen Inhalte oder besondere erzählerische Formen oder Sprachgebilde „erkennen“. KI-Systeme akkumulieren und evaluieren vielmehr „Erfahrungsdaten“, um künftige Entscheidungen abzuschätzen, zu verfeinern und zu leiten. Vor diesem Hintergrund wird im kulturell-kreativen Bereich nicht umsonst die Kritik an KI-Anwendungen geäußert, dass sie das Gleiche im Gleichen adressieren und erzeugen. Daraus auszubrechen, das Besondere, Spezielle zu entdecken, ist da ungleich schwieriger. Damit ist nicht gesagt, dass Menschen im Vergleich dazu immer alles besser und kreativer umsetzen. Aber es schadet auch nicht, sich diese Relationen immer mal wieder zu vergegenwärtigen, wenn es heißt, eine KI kann dieses oder jenes besser.

Lassen Sie uns über KI in der Literatur sprechen. Gibt es Autoren, die die KI für ihren Schreibprozess verwenden?

Tatsächlich ja. Gerade jüngst ist mir begegnet, dass das Kinderbuch „Tino und das Geheimnis der Spielzeugmacher“ von Diana Lichtenthal mit ChatGPT entstanden ist. Und wenn man sich die Rezensionen so durchliest, ist das ein durchaus vielversprechendes Projekt.

Darüber hinaus haben wir uns in letzter Zeit intensiver mit KI-unterstützten Hilfestellungen für den Bereich der Genreliteratur befasst, der vor allem von jüngeren Schreibenden verfasst wird. Dabei handelt es sich um plattform-gebundene Features, die für die Schreibenden allerdings oft nicht immer direkt als KI-Tools erkennbar sind.

Und welche Plattformen werden genutzt?

Plattformen wie Wattpad beispielsweise. Auch die Berliner Firma Inkitt beispielsweise arbeitet mit KI für die gleichnamige Community-Plattform und die ergänzende Mobile App Galatea.

Ist das dann überhaupt noch Literatur im Sinne von Kunst oder braucht es dafür eine andere Begrifflichkeit?

Das ist schwierig abzuschätzen. Negativ betrachtet, verfestigt sich hier in gewisser Weise eine durch KI vorangetriebene Gleichförmigkeit im Kreativbereich. Im wissenschaftlichen Diskurs wird deshalb sehr kritisch darauf hingewiesen, dass Algorithmen im Zuge dieser Gleichförmigkeit normative Formen des Lesekonsums erzeugen, die auf ein angepasstes, also algorithmisch erfassbares und auswertbares Leseverhalten abzielen. Das hat immer auch Rückwirkungen auf den Schreibprozess – vor allem dann, wenn dieser KI-unterstützt umgesetzt wird. Optimistisch bewertet hingegen, erleben wir hier aber auch einen neuen Möglichkeitsraum für kreatives Schaffen und literaturaffine Menschen, die eben andere Werkzeuge und damit kreativitätsbeeinflussende Faktoren für das Schreiben und das Lesen nutzen oder zumindest zulassen. Und zu der Frage, ob das dann noch Literatur ist: Je nachdem, ob man einen materiellen, juristischen, formellen oder grundsätzlichen offenen Kunstbegriff ansetzt, kommt man hier vermutlich zu sehr unterschiedlichen Antworten.

„KI beruht auf Diebstahl“, sagt Bestsellerautorin Nina George. Die KI werde mit Texten von Autoren gefüttert, die weder gefragt, noch dafür honoriert wurden. Es brauche unbedingt rechtliche Bestimmungen. Wie könnten diese aussehen?

In den Interviews, die Nina George dazu gegeben hat, wird ja bereits richtigerweise auf Regulierungsvorgaben und vor allem das KI-Gesetz der EU hingewiesen. Wichtig ist, dass die Probleme, auf die der European Writers‘ Council, aber auch viele andere Kultur- und Kreativschaffende hinweisen, im supranationalen Raum geregelt werden. Das KI-Gesetz kann hier ein erster wichtiger Baustein sein. Allerdings stehen die sehr langen Implementierungsprozesse für die Umsetzung regulatorischer Vorgaben immer im Missverhältnis zu den Anpassungen technologischer Verfahren und den, wenn Sie so wollen, Fakten, die dann ja immer schon geschaffen worden sind. Und selbst wenn die Vorgaben greifen, ist der Bedarf an regelmäßigen Erweiterungen, Ergänzungen etc. weiterhin enorm.

Und was wäre aus ihrer Sicht ein sinnvoller Umgang mit den KI Tools, der alle Seiten befriedet?

Ich glaube, darauf eine Antwort zu finden, kann nur durch einen gemeinsamen und offenen Austausch erfolgen. Insofern ist vor allem die Debatte richtig und wichtig.

Prof. Dr. Sven Stollfuß auf der Leipziger Buchmesse:

„KI in der Buch- und Literaturbranche: Potenziale und Herausforderungen"

Donnerstag (21.3.), 15.45-16.15 Uhr,